Anti-Atom europaweit (Text aus „Krass“ (Magazin der Grünen Jugend NRW) 2/2009)

„Nee Belene“ oder „Atomkraft, Ja bitte“

Atomkraft in Europa gewinnt an Fahrt. Mit dem neu gewonnenen positiven Image im Rücken hält der Stromkonzern RWE an seinen umstrittenen Plänen fest, in Rumänien / Bulgarien ein neues Atomkraftwerk zu bauen.

 

Am 26. April jährte sich die Katastrophe von Tschernobyl zum dreiundzwanzigsten Mal. Doch trotz unermüdlichen Engagements zahlreicher Atomgegner erregt der Jahrestag kaum noch Aufsehen. Hat die weit verbreitete Praxis des Dementierens und Herunterspielens, des Unterdrückens und Vertuschens von Forschungsergebnissen über die Nachwirkungen von Tschernobyl Wirkung gezeigt?

Vielleicht vergessen wir auch gerne. Und vielleicht sind viele Menschen auch zu bequem, um über den „Tellerrand“ ihrer Steckdose zu schauen. Denn ungeachtet der Risiken und ungeklärten Endlagerfrage gewinnt die Atomkraft mehr und mehr an Unterstützung.

Sprießend wie die Pilze

Immer mehr europäische Länder verfolgen neue atomkraftfördernde Strategien. Finnland machte 2002 den Anfang, als es den Bau eines Reaktors in Auftrag gab, Schweden folgte mit umstrittener Gesetzgebung; Polen plant ein neues AKW in der Nähe Danzigs, Tschechien möchte ein bestehendes um zwei Blöcke erweitern und Großbritannien möchte seine derzeitig laufenden 19 AKW erneuern.

Finanzkrise als Atom-Motor

Es scheint als nutze die Atomkraftlobby insbesondere die Auswirkungen der Finanzkrise, um sich Gehör und Einfluss zu verschaffen. Für den Luxus der „Klimapolitik“ sei kein Geld zu diesen Zeiten. Atomkraft dagegen verursache geringe Kosten, argumentieren die Befürworter und treffen bei vielen auf offene Ohren, vor allen

Dingen bei jenen in der Bevölkerung, die Angst vor einer ernsthaften Rezession haben. Finanzkrise, Wirtschaftskrise, Automobilbranchenkrise – es ist von vielen Krisen die Rede, auch von einer Energiekrise. Für letztere steht die Lösung praktischerweise sofort parat: Viele neue Kraftwerke, die die Stromproduktion erhöhen. Schließlich kurbeln Baumaßnahmen auch die Konjunktur an.

Einäugige, kurzäugige, blauäugige Riesen

Die Politik, die die großen Stromkonzerne verfolgen, ist dabei leicht zu durchschauen. Sie betonen den Strombedarf, obwohl viele europäische Länder wie Deutschland und Frankreich bereits große Stromexporteure sind. Zudem haben sich die EU-Staaten im Dezember beim Gipfeltreffen in Brüssel dazu verpflichtet, den CO2-Ausstoß in der Union bis zum Jahr 2020 um ein Fünftel gegenüber 1990 zu senken. Dazu sind deutliche Energieeinsparungen vorgesehen – denn ohne geht es nicht. Trotzdem fällt die Idee, den gesamten Energiebedarf zu senken, damit er auch ohne AKW gedeckt werden kann, in ideologischen Debatten und politisch-strategischen Streitigkeiten meist unter den Tisch. Immerhin geht zumindest ein Teil nationaler Konjunkturprogramme in Form von Investitionen in erneuerbare Energien, Effizienzverbesserungen und energiesparende Häuser oder Gebäude. Alleine in den USA werden in den nächsten Jahren knapp 100 Mrd. US-Dollar in diesen Bereichen investiert. Das macht Sinn, da das Argument eines günstigen Kosten-Nutzen-Verhältnis der Atomenergiegewinnung ein doppelter Irrtum ist. Zwei wichtige Faktoren werden einfach ausgelassen: Stromkonzerne lassen AKW nicht versickern, da keine Versicherung das potenzielle finanzielle Risiko eines Unfalles abdecken könnte. Der Staat muss mit einer unbezahlten Garantie für ein Werk, das ihm nicht gehört, einspringen. Die Kosten eines Endlagers, das nicht existiert, lassen sich nicht beziffern. Sie werden blauäugig in jeglichen Plänen ausgelassen, die der Regierung vorgelegt werden.

Zurück ins 20. Jahrhundert

Der Wind für die Erneuerbaren Energien hat sich gedreht. Drastische, akute und vor allen Dingen schnelle Maßnahmen werden gefordert, damit die Panik nicht noch zunimmt. Von einer behutsamen Entwicklung auf dem Energiesektor wie der kontinuierliche Ausbau der Erneuerbaren Energien durch Fördermaßnahmen ist keine Rede mehr. Vor diesem Hintergrund wird der ungelösten Endlagerfrage keine Bedeutung beigemessen. Wen interessiert in zwanzig Jahren anfallender Atommüll, wenn er um den eigenen Arbeitsplatz innerhalb des nächsten Jahres bangt.

Europäischer Trend

Einige Länder wie Schweden schwimmen ganz vorne auf der PRO-Atomkraftwelle, andere lassen sich einfach mitziehen. Selbst Nationen, die seit langem auf andere Formen der Energiegewinnung (als die Atomkraft) setzen, wie beispielsweise Italien, schwimmen nicht mehr gegen den Strom an. Das Land stieg nach einer Volksabstimmung im Jahre 1987 völlig aus der nuklearen Stromerzeugung aus, unterzeichnete jedoch gerade im Februar ein Abkommen mit dem AKW-Reich Frankreich über eine Zusammenarbeit in Sachen Atomkraft. Spätestens 2020 soll auch in Italien wieder ein Atomkraftwerk zur Stromversorgung beitragen. Die Orientierung in Richtung Atomkraft ist dabei keineswegs ein europäischer Trend. Konkret sind weltweit 80 neue Kraftwerksblöcke in Planung. Die Branche erwartet sogar den Bau von bis zu 400 neuen AKW bis zum Jahre 2030 weltweit1.

Ein Meiler für wenige – Schaden für alle

Gerade auf EU- bzw. internationaler Ebene ist die Situation besonders vertrackt. Was die potentielle Gefahr von nuklearen Unfällen (ausgehend von AKW) angeht, sitzen wir alle im selben Boot. Auch die Endlagerfrage ist, wie das Beispiel der Castortransporte zeigt, längst nicht mehr auf nationale Standorte begrenzt. Mit dem Verzicht auf Atomstrom sind gewisse Wettbewerbsnachteile verbunden, ohne dass die negativen Auswirkungen einer Atomkatastrophe – selbst wenn der betroffene Meiler in einem anderen Land steht – signifikant gemindert werden. Dabei geraten Reaktoren immer wieder wegen Störungen im Betriebsablauf in die Schlagzeilen. Die langjährige Praxis der Ignoranz und des Vergessens scheint dazu zu führen, dass aus einem potenziellen Risiko für die Menschheit ein akutes wird. 33 Jahre ohne größeren Atomunfall haben dafür gesorgt, dass sich eine kindliche Gutgläubigkeit entwickelt hat, die alle begründeten Bedenken schmälert und Ausstiegsregelungen wie Baukriterien aufweicht.

Bulgarisches Roulette oder wie erhöht man die Gefahr einer Atomkatastrophe?

Das beste Beispiel hierfür ist das Projekt Belene. Belene bezeichnet den Ort in Bulgarien, an dem der Stromkonzern RWE ein neues Atomkraftwerk zu bauen plant. Die Tatsache allein ist nicht weiter verwunderlich, denn der ehemals regional aufgestellte Konzern betreibt eine massive Expansionspolitik; auch in Rumänien, Litauen und Großbritannien sind neue RWE-Atomkraftwerke geplant. Prekär an Belene ist allerdings die geographische Lage. Der Standort liegt mitten in einem Erdbebengebiet. Beim letzten Beben in dem nordbulgarischen Gebiet starben 120 Menschen. Der Bau wie auch die Proteste an besagtem Standort haben eine lange Tradition. Bereits in den 80er Jahren existierten Pläne eines derartigen Baus. Das Projekt traf jedoch schon damals auf Widerstand und 1983 empfahlen sowjetische Wissenschaftler, das Projekt aufgrund der Erdbebengefahr nicht weiterzuverfolgen. Heute sind es gar Wissenschaftler aus ganz Europa, die Sturm laufen. Und auch im eigenen Aufsichtsrat ist der Neubau durchaus umstritten. Nichtsdestotrotz hält RWE-Chef Jürgen Großmann an den Plänen fest. Der Meiler soll noch bis 2014 von der russischen Firma Atomstromexport festgestellt werden. Ein gemeinsames Abkommen zwischen RWE Power und dem bulgarischen Stromversorger Elektricheska Kompania wurde bereits unterzeichnet. Die gemeinsames Projektgesellschaft, an der RWE 51 Prozent hält, soll dafür sorgen, dass RWE eine Summe von mind. 1,275 Millionen Euro für Investitionen bereit stellt. Getarnt wird der Millionenbau zum Teil als „Entwicklungsprojekt“ für die Region; Belene sorge neben Arbeitsplätzen für die Stromversorgung des Balkanstaates. Und das obwohl auch Bulgarien nach Einschätzungen von Greenpeace-Energieexperten Nettoexporteur ist und somit über Überkapazitäten verfügt.

Widerstand lohnt sich (nicht)

Tatenlos zusehen, wie die Wiederholung eines Unglücks à la Tschernobyl von der Gunst seismologischer Aktivitäten weit unter der Erde abhängig gemacht wird – das möchten weder AnwohnerInnen noch zahlreiche AktivistInnen. Insbesondere die

Umweltorganisation „Urgewald“ hat mithilfe zahlreicher öffentlichkeitswirksamer Maßnahmen versucht, den Bau zu stoppen. Sie verfolgt einen anderen Ansatz als die „traditionellen“ Proteste größerer Umweltorganisationen wie Greenpeace und Robin Wood. Urgewald-AktivistInnen versuchen in erster Linie, den Geldhahn der jeweils umstrittenen Projekte abzudrehen – denn ohne Investitionskapital kein AKW! Gegen alle Banken, die bisher angekündigt hatten, Geld zur Verfügung zu stellen, wurden Protestaktionen und Boykotte organisiert. Deutsche Bank und HypoVereinsbank haben sich bereits zurückgezogen. Auch ein Kundenverlust vermag RWE eventuell in seine Schranken verweisen. Viele Kunden kündigten, nachdem sie durch Urgewald aufgeklärt wurden, dass der „Klimastrom“ von RWE zu einem großen Anteil undeklarierten Atomstrom enthält.

Risiko ist kein Einzelfall!

Belene ist nur ein Beispiel für die gewissenlose Unternehmenspolitik der Energiekonzerne und der von Lobbyisten durchsetzten europäischen Energiebehörde EURATOM . So sagte RWE-Vorstandvorsitzender Jürgen Großmann in einem Interview mit Focus, als er auf das Gefahrenpotenzial von Belene angesprochen wurde: „Es gibt im Moment auf der Welt 439 Kernkraftwerke. Davon sind 80 bestimmt ähnlich klassifiziert wie das in Belene projektierte. Auch die europäische Behörde Euratom hat darauf hingewiesen, dass dort nach internationalen Standards absolut sicheres konstruiert werden kann.“

Gesucht: mündige, aufgeklärte VerbraucherInnen und WählerInnen

Angesichts dieser Gefahrenpotenziale wie auch der ungeklärten Endlagerfrage, ist es die Verantwortung der EU und der nationalen Regierungen, dem Bau weiterer Atomkraftwerke einen Riegel vorzuschieben. Politik sollte fördern, was Zukunft hat und das sind erneuerbare Energien. Gleichzeitig sind wir selbst als VerbraucherInnen gefragt. Mit dringend nötigen Gesetzesrichtlinien der EU wurde zumindest für ein Mindestmaß an Verbraucherschutz und fairem Wettbewerb auf dem Strommarkt gesorgt. Seitdem der Bundestag 1998 das novellierte Energiewirtschaftsgesetz umsetzte, darf jeder Verbraucher und jede Verbraucherin selbstständig über ihren Stromanbieter entscheiden. Von diesem Recht machen allerdings nur die wenigsten Gebrauch. Und das, obwohl Ökostromanbieter in den meisten Regionen nicht mehr teurer sind als der Exmonopolist vor Ort (in NRW die RWE oder regionale Unternehmen, die Anteile an der RWE halten). Eine Umstrukturierung des Strommarktes ist nicht zuletzt auch eine Frage des VerbraucherInnenwillens. Als mündige VerbraucherInnen, WählerInnen und MitbestimmerInnen können wir gemeinsam mit der Politik dafür sorgen, dass Atomstrom in Europa keine Zukunft hat.

Viele Demonstranten forderten vor der RWE-Hauptversammlung in der Grugahalle in Essen den Verzicht auf den Bau des Atomkraftwerks Belene. Foto: gruenenrw/flickr.com

 

 

 

 

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